Als der Krieg ins Krautland kam

Der Kampf um Merkendorf zwischen Deutschen und Amerikanern jährt sich zum 70. Mal

MERKENDORF

Das Kriegsende jährt sich heuer am 8. Mai zum 70. Mal. Doch einige Wochen zuvor kam der Krieg in die Heimat. Nürnberg, Ansbach und Gunzenhausen wurden in den letzten Kriegstagen von den Alliierten bombardiert.

Vom 18. bis 20. April 1945 fanden in Merkendorf Kämpfe zwischen der Waffen-SS und der US-Army statt. Doch wie kam es dazu und was geschah damals? Am 26. März 1945 hatte die 7. US-Armee begonnen den Rhein bei Worms zu überqueren. Zu den der Armee unterstellten Verbänden gehörte die 101. Cavalry Group (mechanized) der Nationalgarde der Vereinigten Staaten. Der Verband unter dem Kommando von Colonel Charles B. McClelland war mit Spähpanzern und einigen Jagdpanzern ausgerüstet und wurde für Aufklärungs- und Sicherungsaufgaben an den Flanken der 7. Armee eingesetzt. Beim Sichern der südlichen Flanke des vorrückenden amerikanischen Großverbandes geriet die 101. Cavalry Group in kleinere Hinterhalte, mit denen deutsche Truppen versuchten das Vordringen der Alliierten zu verzögern. „Troop A“, einer der Verbände der 101., wurde am 18. April 1945 in Wolframs-Eschenbach in Kämpfe verwickelt, während „Troop C“ den Ort umging und auf Merkendorf vorrückte. Als geschwächte Truppenverbände der deutschen Wehrmacht vor den heranrückenden amerikanischen Panzerverbänden immer weiter nach Süden zurückwichen, entschied die Heeresgruppe B, Merkendorf zu verteidigen. Merkendorf lag an der Reichsstraße 13 – der heutigen Bundesstraße 13 –, auf der sich immer mehr deutsche Soldaten zurückzogen. Die der Heeresgruppe B unterstellte SS-Kampfgruppe „Bataillon Deggingen“ sollte diese Verteidigung übernehmen. Merkendorf wurde zur „Festung“ erklärt. Die Kleinstadt war die einzige Gemeinde im weiteren Umkreis, die verteidigt werden sollte. Die Kampfgruppe wurde unter dem Befehl von SS-Sturmbannführer Willy Baumgärtel von der württembergischen Gemeinde Deggingen – daher der Name des Bataillons – aus über Heidenheim an der Brenz und Nördlingen in den Raum Gunzenhausen beordert. Dem Bataillon „Deggingen“ gehörten neben Kommandeur Baumgärtel der Hauptsturmführer Willy Sommer und die Obersturmführer Schulz und Kai an. Am 14. April protestierten im Schulhof einige Merkendorfer Frauen gegen die Verteidigung der Stadt. Sie wurden durch Fluglärm und dem Abfeuern von Bordkanonen, die eine Scheune im nahen Willendorf in Brand setzten, auseinandergetrieben. Als am 16. April die nahe Kreisstadt Gunzenhausen von alliierten Flugzeugen bombardiert wurde, wurden in Merkendorf Verteidigungsanlagen errichtet, darunter eine Panzersperre am Anwesen des damaligen Bürgermeisters Georg Zippel. Am Nachmittag des 17. April besichtigte Kreisleiter Gerstner die Verteidigungsanlagen. 150 Frauen und Kinder protestierten erneut gegen die geplante Verteidigung, jedoch wieder ohne Erfolg. Als amerikanische Truppenverbände die Reichsstraße 14 – die heutige Bundesstraße 14 – bei Ansbach überschritten, hielten im Rathaus (Zehntscheune) hochrangige Offiziere eine Lagebesprechung ab.

Zerschlagene Heeresteile der 2. Gebirgs-Division zogen sich sowohl auf der Reichsstraße 13 von Ansbach kommend, als auch auf der Staatsstraße Wolframs-Eschenbach–Windsbach zurück. Sprengkommandos zerstörten auf ihrem Rückzug in Richtung Gunzenhausen alle größeren Brücken, wie die in Ornbau.

 

Der Krieg in der Heimat

 

Der Mittwoch, 18. April 1945 war ein schöner Frühlingstag. Mittag erschienen Beobachtungsflugzeuge über Merkendorf. Den Kampfkommandanten erreichte über Fernsprecher zudem die Nachricht, dass amerikanische Truppen in Richtung Wolframs-Eschenbach–Merkendorf vorgedrungen seien. Der „Volkssturm“, der weitere Verteidigungsanlagen um die Stadt errichten sollte, wurde aus dem nahen Mönchswald zurückbeordert. Die SS wurde in Alarmbereitschaft versetzt, die Panzersperre auf der Reichsstraße 13 beim Anwesen Georg Zippel verschlossen sowie das Obere Tor mit einer Dreschmaschine verbarrikadiert. In den nächsten Stunden suchte die Merkendorfer Stadtbevölkerung Schutz in Kellern, in behelfsmäßig errichteten Unterständen in den Gärten oder in den Bierkellern der Brauerei Hellein an der Stadtmauer. Die deutschen Truppen begaben sich auf ihre Positionen in und um Merkendorf. Als auf der Anhöhe bei Gerbersdorf amerikanische Panzer zu sehen waren, schossen Mitglieder der Waffen-SS mit Maschinengewehren auf die heranrückenden Fahrzeuge. Diese erwiderten das Feuer. In kurzer Zeit standen die Stadtkirche und mehrere weitere Gebäude, darunter ein Stadtmauerturm im Nordosten der Ringmauer, das Fachwerkgasthaus „Zur Krone“ und viele Anwesen sowohl in der Altstadt als auch in der Vorstadt, in Flammen. Zwei Störche, die auf dem Gasthaus „Zur Krone“ ihr Nest hatten, verbrannten in den Flammen. Die Kampffront verlief im Nordosten zur Altstadt. Die US-Panzer standen auf den Äckern in der heutigen Flur „Weidach“ und beschossen Merkendorf. Um den weiteren Beschuss der Stadt zu verhindern, sprang der Schuster Friedrich Weiß (Weiß’n Schuster) mit einem weißen Tuch in der Hand aus einem Loch in der nordöstlichen Stadtmauer und erreichte, dank eines Dolmetschers, die Einstellung des Beschusses. Eine Gedenktafel an der Stelle, wo Weiß aus der Stadtmauer sprang, erinnert an seine heldenhafte Tat. Mit 40 bis 50 Panzern und Panzerspähwagen besetzten die Amerikaner nun Merkendorf. Es brannte an 28 Stellen in der Stadt. Nur zögerlich kamen die Einwohner aus ihren Kellern und Unterständen hervor. Das Ausmaß der Zerstörungen war schnell erkennbar: Vieh lief verstört in den Straßen umher und elektrische Leitungen hingen herunter. Schnell versuchte die Stadtbevölkerung die Feuer zu löschen. Selbst die amerikanischen Soldaten halfen bei den Löscharbeiten. Das Kampfbataillon „Deggingen“ zog sich etwa 2,5 Kilometer von Merkendorf entfernt in die Wälder zurück. Kommandant Willy Baumgärtel befand sich mit SS-Truppen nördlich von Haundorf und befahl, dass zwei Kampftruppen mit Panzervernichtungstrupps in der Nacht vom 18. auf den 19. April morgens um 3 Uhr in Merkendorf eindringen sollen, um die Panzer der Amerikaner zu zerstören.

So geschah es dann auch. Am Donnerstag, 19. April überschlugen sich noch einmal die Ereignisse in der Kleinstadt. Gegen 3 Uhr arbeitete sich die Kampfgruppe der 3. Kompanie der Waffen-SS an das Untere Tor und das Taschentor heran, überfiel die überraschten Amerikaner und zerstörte in einem verlustreichen Straßenkampf sechs Panzer und einen Panzerspähwagen. Gegen 4:30 Uhr zog sich die Kampfgruppe nach Biederbach zurück.

Die 1. Kompanie unter Hauptmann Sommer rückte zur gleichen Zeit wie die 3. Kompanie von Süden und Südosten in die Vorstadt ein. Auf dem Adolf-Hitler-Platz, heute Alter Sportplatz, kam es zu einem heftigen Kampf zwischen SS und US-Armee, bei dem mehrere Panzer zerstört wurden. Ebenfalls zerstört wurde der sichernde Panzer an der Panzersperre beim Anwesen von Bürgermeister Zippel. Nach dessen Vernichtung stürmten die deutschen Soldaten das Anwesen von Zippel, wo sie die amerikanische Besatzung des Panzers vermuteten. In Panik floh die Familie Zippel, die sich im Haus befand, in die nahen Wiesen. Dort wurde auf sie geschossen. Ob Amerikaner oder Deutsche schossen ist nicht bekannt. Dabei wurde Bürgermeister Zippel schwer, seine Frau und Tochter leichter verletzt. Zippel erlag wenig später seinen Verletzungen. Hauptmann Willy Sommer, der die 1. Kompanie befehligte, fiel ebenfalls bei diesen Gefechten.

Am Ortsausgang nach Hirschlach wurde Elsbeth Kaumeier aus Nürnberg, die von dort nach Merkendorf evakuiert worden war, beim Versuch aus der Stadt zu fliehen, von Granatsplittern tödlich getroffen. Babette Eischer, die mit ihrem Kind in einem Unterstand Schutz gesucht hatte, wurde von amerikanischen Gewehrkugeln so schwer getroffen, dass sie am selben Tag verstarb. Unterdessen drang die 1. Kompanie bis zum Marktplatz, dem damaligen Hindenburg-Platz, vor. Beim Unteren Tor kam es erneut zu schweren Gefechten mit den Amerikanern. In der Stadtmitte wurde der Totengräber Michael Müller, der in sein Anwesen wollte, von einer Maschinengewehrkugel getötet. Bald machte sich die militärische Überlegenheit der Amerikaner bemerkbar. Daher zogen sich die verbliebenen Reste der SS in den Mönchswald zurück. Der amerikanische Besatzungskommandant erließ für die Stadtbevölkerung eine absolute Ausgangssperre ab 18 Uhr. Gegen 19 Uhr zogen sich die amerikanischen Verbände aus der Stadt zurück. Die Nacht vom 19. auf den 20. April blieb ruhig. Am Morgen, Freitag, den 20. April, kamen die deutschen Soldaten erneut in die Stadt zurück und befahlen das Obere Tor zu verbarrikadieren. Mit einer Dampfmaschine, einer Strohpresse und einer Dreschmaschine wollte die Waffen-SS die Amerikaner aufhalten. Der Gedanke, dass die Stadt erneut verteidigt werden sollte, trieb viele Merkendorfer in Panik zur Flucht in die umliegenden Dörfer.

Ein verwundeter deutscher Soldat der Waffen-SS wurde unter der Friedenseiche auf dem Adolf-Hitler-Platz von Amerikanern mit dem Gewehrkolben erschlagen. Als die Amerikaner am Morgen des 21. April anrückten, war kein deutscher Soldat mehr in der Stadt zu sehen. Sie ließen die Barrikade im Oberen Tor wegräumen und besetzten Merkendorf endgültig. Nach dem Zusammenbruch der Front bei Merkendorf wurde die Kampfgruppe „Deggingen“ an die Bahnlinie Gunzenhausen–Wassertrüdingen beordert, um dort in Stellung zu gehen. Am 27. April spielten evakuierte Kinder aus dem Saarland mit herumliegenden, scharfen Granaten. Als eine dieser Granaten explodierte, wurden die Kinder so schwer verletzt, dass sie an ihren Verletzungen verstarben. Sowohl die getöteten Zivilisten, als auch die Soldaten wurden in der Folgezeit auf dem Merkendorfer Friedhof beigesetzt. Eine geplante Umbettung der Soldaten auf den Soldatenfriedhof Nagelberg bei Treuchtlingen unterblieb auf Wunsch der Stadt Merkendorf. Insgesamt wurden 96 Menschen getötet, davon waren 12 Zivilisten, 70 amerikanische Soldaten und 14 Soldaten der Waffen-SS. Der größte Teil der Toten der Waffen-SS waren Angehörige des Bataillons „Deggingen“ und dem Kommando des Hauptsturmführers Willy Sommer unterstellt, der ebenfalls in Merkendorf ums Leben kam. Sowohl in der Altstadt als auch in der Vorstadt wurden zahlreiche Gebäude während der Kampfhandlungen komplett zerstört oder schwer beschädigt. Insgesamt brannten 39 Gebäude ab, vier wurden schwer und 23 leicht beschädigt.

Der Wiederaufbau ging schnell voran. Bereits zum Reformationsfest 1948 konnte Stadtpfarrer Wilhelm Boß die Stadtkirche wieder weihen.

Ebenso fanden viele Heimatvertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten, Schlesien und dem Sudentenland eine neue Heimat in Merkendorf. In den Folgejahren setzte eine rege Bautätigkeit im Bereich der Straße Am Mosthaus, der Sonnen- und der Wilhelmstraße ein. Die Merkendorfer richteten ihren Blick nach vorne und schufen aus Schutt und Asche eine liebens- und lebenswerte Heimat. Zu den Ereignissen um den 18. April 1945 sind zahlreiche Bücher erschienen. Unter anderem befasst sich die Werk „Krieg und Frieden – Merkendorf 1944-1949“ vom Merkendorfer Heimatforscher Wilhelm Koch aus dem Jahr 2006 mit dem Thema. Es kann in der Stadtkasse im Merkendorfer Rathaus erworben werden.

Text + Fotos: Daniel Ammon / Archiv

a Ausgebrannte Stadtkirche - Chorraum a Karte - Kriegsschäden in der Altstadt a Marktplatz - Blck auf brennende Kirche

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2 Replies to “Als der Krieg ins Krautland kam”

  1. Vielen Dank für die kompakte und informative Darstellung der Ereignisse in Merkendorf. Ich beschäftige mich gerade mit dem Kriegsende im fränkischen Raum und hätte eine Frage. In drei verschiedenen Standardwerken (z.B. Veeh, Die Kriegsfurie über Franken) wird beschrieben, dass nicht nur ein Verwundeter an der Friedenseiche, sondern alle 14 zurückgelassenen Schwerverwundeten von den Amerikanern getötet wurden. Allerdings wird dies im mir vorliegenden „Krieg in der Heimat“ nicht erwähnt, ebenso wenig im Heimatbuch von Merkendorf, es könnte sich also um eine Schauergeschichte handeln, oder aber es wird in manchen Quellen einfach nicht erwähnt. Liegen Ihnen hierzu irgendwelche weiterführenden Informationen vor?

    • Sehr geehrter Herr Schaller,

      vielen Dank für Ihre Anmerkung und Ihr Interesse an meinem Artikel. Diese und ähnliche Geschichten, wie Sie sie aufführen, stehen tatäschlich im Heimatbuch Merkendorf von Wilhelm Koch und Heinrich Helmreich aus dem Jahr 1978. Außerdem sind meine weiteren Quellen das Buch „Krieg und Frieden“ von Wilhelm Koch aus 2006. Aber tatsächlich ist die Anzahl Gefallenen und Getöteten sehr umstritten.
      Die Dokumentation der 101st Cavalry gibt auf Seite 37 80 Tote SS-Soldaten bei nur zwei getöteten US-Soldaten an, während Stephen G. Fritz auf Seite 178 in „Endkampf: Soldiers, Civilians, And The Death Of The Third Reich“ auf deutsche Berichte verweist, die elf Tote, 24 Verwundete und 29 Vermisste unter den angreifenden Waffen-SS Soldaten angeben, die Amerikaner verloren nach Fritz zwei Tote und vier Vermisste. Koch nennt in Krieg und Frieden – Merkendorf 1944–1949 insgesamt 96 Tote. Diese Dokumente lassen sich im Internet finden.

      Schöne Grüße Daniel Ammon