Schwierige Entscheidungen im Zeitalter der Weltkriege

Neues Buch untersucht die Rolle der Rektoren Hans Lauerer und Hermann Dietzfelbinger

NEUENDETTELSAU (Eig. Ber.)

Überschattet von zwei Weltkriegen und zahlreichen Umbrüchen war die Amtszeit der Rektoren Hans Lauerer und Hermann Dietzfelbinger.  „Im Zeitalter der Weltkriege“ heißt daher auch das über 400 Seiten starke Buch, das Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl und Dr. Ulrike Winkler über die Amtszeit dieser beiden Rektoren der Diakonissenanstalt Neuendettelsau verfasst haben. Es ist der dritte Band in der Reihe zur Geschichte der Diakonie Neuendettelsau. Das symbolische erste Exemplar überreichten die Autoren im Rahmen einer Buchpräsentation an den Leiter der Diakonie Neuendettelsau, Rektor Prof. Dr. h. c. Hermann Schoenauer. „Um erfolgreich nach vorne zu gehen, muss man seine Wurzeln kennen und auch dunkle Flecken auf diesem Weg kennen“, unterstrich er die Notwendigkeit solcher Untersuchungen. Dabei gehe es nicht um Verurteilung, sondern um Transparenz, um die richtigen Konsequenzen ziehen zu können.

Als Hans Lauerer 1918 in sein Amt eingeführt wurde, stand der Untergang des wilhelminischen Kaiserreichs unmittelbar bevor. Vor Lauerer lag eine Zeit mit zwei Kriegsniederlagen, zwei Revolutionen, zwei Währungszusammenbrüchen, einer Weltwirtschaftskrise, einer Diktatur und einem in der Weltgeschichte einzigartigen Mord unter anderem an geistig behinderten und psychisch kranken Menschen. Abgesehen von kurzen Zwischenperioden war es erst seinem Nachfolger Hermann Dietzfelbinger, der nur zwei Jahre von 1953 bis 1955 amtierte, vergönnt, das „Wirtschaftswunder“ zu erleben. Die Weimarer Republik blieb der damaligen Führungsriege der Diakonissenanstalt fremd, obwohl man von der Sozialpolitik der ungeliebten Republik paradoxerweise profitierte. Der stürmische Ausbau in den „Goldenen Zwanzigern“ ging mit der Weltwirtschaftskrise zu Ende. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde in Neuendettelsau freudig begrüßt. „Schockierend“ nannte Prof. Schmuhl die antisemitischen Äußerungen Lauerers in den dreißiger Jahren. Bis in den 2. Weltkrieg hinein stand die Diakonissenanstalt Neuendettelsau im Grundsatz loyal zum Staat Hitlers, obwohl sich gravierende Konfliktlinien zwischen der Diakonie und dem nationalsozialistischen Staat abzeichneten. Unter anderem wehrte sich Lauerer gegen die „Eingliederung“ der bayerischen Landeskirche in die neue Reichskirche und stellte die Diakonissenanstalt auf die Seite der Bekennenden Kirche. Bereitwillig arbeitete die Diakonissenanstalt Neuendettelsau andererseits an der NS-Erbgesundheitspolitik mit. 1940/41 erlebten die Diakonissen mit Empörung und Trauer, wie 1140 Bewohner verschleppt und viele von ihnen anschließend ermordet wurden. Die Führungskräfte der Diakonissenanstalt beschränkten sich auf hinhaltenden Widerstand und versuchten, möglichst viele der eigenen Schutzbefohlenen zu retten, zum Beispiel durch Ausnahmeregelungen. Dies war jedoch aufs engste mit passiver Hinnahme oder partieller Kollaboration verbunden. Als „Raum der Resistenz“ beschreiben Prof. Schmuhl und Dr. Winkler daher die Diakonissenanstalt Neuendettelsau in dieser Zeit. In den letzten Jahren des 2. Weltkriegs befand sich das Diakoniewerk in einem zähen Überlebenskampf, der nahtlos in einen überraschend schnellen Wiederaufbau nach 1945 überging. Besonders im Bildungsbereich wurden Akzente gesetzt. Desillusionierend war hingegen die Entwicklung der Schwesternschaft, die kaum noch geeigneten Nachwuchs gewann. 1954 rief Rektor Hermann Dietzfelbinger das Diakonische Jahr ins Leben. Von 1950 bis 1955 hatte die Diakonissenanstalt Neuendettelsau einen vierfachen Wechsel in den Ämtern des Rektors und der Oberin zu verkraften. Als dann 1955 Theodor Schober als neuer Rektor eingeführt wurde, war die Nachkriegszeit vorbei und die Türen zu einem prosperierenden Sozialstaat standen offen.

 

Hans-Walter Schmuhl/Ulrike Winkler: Im Zeitalter der Weltkriege, Diakonie Neuendettelsau 2014, ISBN 978-3-9809431-6-1, 427 S., 24,80 Euro.

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Foto: Privat (Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl und Dr. Ulrike Winkler übergaben den Band „Im Zeitalter der Weltkriege“ druckfrisch an den Leiter der Diakonie Neuendettelsau, Rektor Prof. Dr. h. c. Hermann Schoenauer)

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