Erinnern ist heute wichtiger denn je…

Pogrom-Gedenktag in Windsbach

WINDSBACH (Eig. Ber.)

Am 9. November 1938 zogen „wilde Horten“ mit Äxten und Stöcken durch Windsbach. Zuerst wurden die jüdischen Mitbürger aus ihren Wohnungen geholt und im Zug zur Stadthalle getrieben. Danach wurden die Wohnungen geplündert, Hab und Gut zerstört und alles durch das Fenster auf die Straße geworfen. Auch in der Synagoge leistete man „ganze Arbeit“ und zerschlug die Inneneinrichtung. Die Torarolle wurde über das Dach geworfen, die beherzt ein Bürger herunterzog und 70 Jahre lang in Gunzenhausen aufbewahrte. Die Wertgegenstände wurden konfisziert und der „Parochet“ – der Toraschreinvorhang – angezündet. Die Feuerwehr schritt ein und löschte diesen wieder, um Schlimmeres zu verhindern, wegen der engen Bebauung zu den Nachbarhäusern. Die Nacht mussten die Juden wieder in ihren zerstörten Wohnungen verbringen, um ihnen „Volkeszorn“ zu zeigen. Am 10. November 1938 wurden sie dann mit dem Omnibus nach Ansbach transportiert und von dort mit Sammeltransporten nach Polen in die Ghettos und Konzentrationslager gebracht, wo nur wenige überlebten. Zum Gedenken an die über 6 Millionen Opfer der Vertreibung, des Holocaust in den hunderten von Konzentrationslagern, Ghettos, Arbeits- und Zwangslagern in Deutschland, Frankreich und Polen kamen ca. 70 Personen vor die ehemalige Synagoge am Oberen Stadttor zusammen, organisiert von der Stadt Windsbach, der evangelischen und der katholischen Kirche und dem Heimatverein. Bürgermeister Matthias Seitz betonte in seiner Ansprache und mahnte, „dass Gedenkveranstaltungen wie diese und der am Volkstrauertag uns mahnen, allen Opfern von Krieg, Gewalt und Terror ein ehrendes Gedenken zu bewahren“. Er legte zum Zeichen der Trauer im Namen der Stadt eine Gedenkschale vor der Synagoge nieder. „Erinnern ist heute wichtiger denn je“, so betonte dies Dekan Klaus Schlicker. „Sie verbrennen alle Gotteshäuser im Land“ und „kein Prophet redet mehr“. Diese beiden Sätze unterstrich der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer in seiner Bibel mit dem Zusatz: „9. November 1938. Das ist jetzt 80 Jahre her und es bleibt unbegreiflich für die Jüngeren und die Älteren. Vielleicht sind auch Zeitzeugen heute hier. „Darum sind wir heute hier, zum Gedenken gibt es viele Anlässe im Jahr 1918: Ende des bayerischen Königtums und des Kaiserreichs, Ende des 1. Weltkriegs, Gründung des Freistaates Bayern, so Dr. Christian Eyselein. An unsere umgekommenen ehemaligen jüdischen Mitbürger denken wir heute, nicht als Vorwurf. Nie wieder sollen in unserer Stadt, in unserem Land Menschen entwürdigt werden, nie wieder wegen ihrer Religion ausgegrenzt und abgelehnt, nie wieder um Leib und Leben fürchten müssen. Die älteren Windsbacher können sich noch an so manche jüdische Familien erinnern, an den Judenlehrer Hubert mit seinen Töchtern Flora und Martha, die in dem Synagogenhaus auch gewohnt haben. Oder den in der Judengasse lebenden Metzger Wolf Weinschenk, „Ludl“ genannt, oder in der Hauptstraße an den Tuchhändler Isidor Holzinger (Bändlesjud)oder die „Bärsmadli“, heute Fa. Weinl. Karl Lechner verlas die Namen und wo unsere ehemaligen Mitbürger umkamen: Auschwitz 4 Windsbacher im Alter von 35 – 69 Jahren. Izbica, Treblinka 9 Windsbacher im Alter von 44 – 75 Jahren. Theresienstadt 10 Windsbacher im Alter von 33 – 76 Jahren. Minsk 6 Windsbacher im Alter von 36 – 76 Jahren. Riga 4 Windsbacher im Alter von 18 bis 55 Jahren. Freitod vor Deportation 3 Windsbacher im Alter von 62 – 73 Jahren. Verschollen, ungeklärt (Alter 1938) 6 Windsbacher Alter 36 – 62 Jahre. Dekan Schlicker, Dr. Eyselein und Anna Maria Weiß zündeten je eine Kerze zum Gedenken an. Dr. Thomas Hofmann (Akkordeon) und Bernd Kreutzer (Bassgitarre) begleiteten die Gedenkfeier musikalisch. Christa Lechner verlas ein jüdisches Gebet. Zum Abschluss wurde vom Heimatverein das jüdische Gebäck „Berches“ gereicht, welches die Bäckerei Beißer extra gebacken hatte. Die geflochtenen Schabbat-Weißbrote symbolisieren mit ihrem Duft nach Hefe die Häuslichkeit, das Daheimsein.

Text + Fotos: Karl Lechner / Heimatverein

 

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