„Kein junger Arzt will eine 70-Stunden-Woche auf dem Land“

WOLFRAMS-ESCHENBACH

Das flache Land leidet unter einem Ärztemangel. Dr. Manfred Lutz ist seit knapp 21 Jahren Allgemeinmediziner im mittelfränkischen Wolframs-Eschenbach. Im Interview erzählt der 54-Jährige über die Arbeit als Allgemeinarzt und erklärt, warum keiner mehr Landarzt werden will.

 

Warum wollten Sie Arzt werden?

Dr. Manfred Lutz: Naturwissenschaften und soziale Berufe interessierten mich schon immer. Den Umgang mit Menschen fand ich interessant. Die Tätigkeit als Arzt deckt die naturwissenschaftliche und soziale Seite gleichermaßen ab.

Eine Forsa-Studie von 2014 bescheinigt dem Altlandkreis Ansbach letzter Platz in Deutschland bei der Versorgung von Hausärzten zu sein. Warum will keiner mehr aufs Land? 

Weil sich viele junge Leute nicht mehr vorstellen können, ihr ganzes Berufsleben als Allgemeinarzt auf dem Land zu arbeiten. Sie stellen sich eine 40-Stunden-Woche mit freiem Wochenende und pünktlichem Feierabend vor. Das geht auf dem Land nicht. Das lässt sich in der Stadt besser verwirklichen.  Da weiß keiner, wo der Hausarzt wohnt.

 

Kann es auch daran liegen, dass Nachfolger eine Praxis komplett übernehmen müssen und dies viele abschreckt?

Heute ist jeder Arzt froh, wenn er seine Praxis umsonst übergeben kann. Vor 20 Jahren war es eine teure Angelegenheit von einem Vorgänger die Praxis zu übernehmen. Entweder übernahm der Arzt eine laufende Praxis mit Patientenstamm. Dafür musste er viel Geld bezahlen. Oder er gründete eine Praxis und baute sich den Patientenstamm neu auf. Dafür musste er keine Ablöse zahlen. Aber auch, wenn es die Praxis heute geschenkt gibt, finden sich keine Nachfolger auf dem Land. Selbst für Kollegen in Städten, wie Gunzenhausen, ist es kaum mehr möglich einen Nachfolger zu finden. Für viele junge Arztfamilien ist Gunzenhausen mit 17.000 Einwohnern schon „Land“.

 

Merken Sie den Ärztemangel bei Ihrer Arbeit? 

Ja, immer mehr Kranke kommen von weiter her. Ich merke deutlich, dass meine Patienten weniger Termine bei Fachärzten bekommen. Wenn ein Schmerzpatient sechs Wochen bei einem Orthopäden auf einen Termin warten muss, ist das nicht angemessen. Auf diese Weise verzögern sich Behandlung und Heilung. Die Arbeitsunfähigkeit wird dadurch unnötig verlängert.

 

Haben Sie in den letzten Jahren dadurch Mehrbelastung erfahren? 

Die Mehrbelastung steigt jährlich. Vor allem durch den bürokratischen Verwaltungsaufwand.  Das hat in den letzten 20 Jahren immens zugenommen. Die Arbeit war früher wesentlich einfacher. Da konnte ich mich viel mehr auf den Patienten konzentrieren. Heute geht schon ein Drittel bis fast die Hälfte der Arbeitszeit für Verwaltungsaufgaben, wie das Bearbeiten von Anfragen der Krankenkassen, verloren. Wir Landärzte werden nicht nur weniger, uns wird immer weniger Zeit für unsere Patienten gelassen.

 

Sie sagen aber nicht, dass der Arztberuf nur Stress ist? 

Nein. Der Umgang mit meinen Patienten, denen ich helfen kann, bereitet mir Freude und entschuldigt manches Negative im Berufsleben. Es gibt Zeiten mit viel Stress, wie bei der Grippewelle im Frühjahr. Da reichte selbst eine 70-Stunden-Woche nicht aus und man kommt schnell an seine Leistungsgrenzen. Ansonsten haben Ärzte auf dem Land gewöhnlich eine 60- bis 70-Stunden-Woche.

 

Hat die Politik in den vergangenen Jahren versäumt, die Weichen in die richtige Richtung zu stellen?

Ganz bestimmt. Die Ärzteverbände sagten seit Jahren den Politikern, sie sollen etwas gegen den drohenden Hausärztemangel tun. Sie haben das zu lange ignoriert und jammern jetzt, weil sie keine Landärzte haben. Bürokratieabbau wäre sinnvoll gewesen und die niedergelassenen Ärzte vor Regressen schützen. Regresszahlungen lassen sich vergleichen mit einem Koch, der nach zwei Jahren eine Rechnung bekommt, weil er zu viele und zu teure Lebensmittel zum Kochen verbraucht hat. So ist das auch bei Medikamenten für Patienten.

 

Muss im Studium mehr auf das Thema Landarzt hingewiesen werden? 

Als ich studierte, gab es eine freiwillige einstündige Vorlesung über ein Semester zum Thema „Allgemeinmedizin“. Das gesamte Studium war rein fachärztlich orientiert. Die einfachsten Krankheiten, wie Erkältungen oder grippale Infekte, bekam ich damals nie zu sehen. Das lernte ich erst, als ich ein halbes Jahr in einer allgemeinmedizinischen Praxis mitarbeitete. Die Einrichtung von Lehrstühlen für Allgemeinmedizin und das Pflichtpraktikum in Hausarztpraxen ändern das jetzt.

 

Politik und Ärzteverbände machen neuerdings den Vorschlag, Gesundheitszentren auf dem Land anzusiedeln. Dort sollen Fach- und Allgemeinarzt zusammenarbeiten. Was halten Sie von diesem Vorschlag? 

In Dörfern oder Kleinstädten wird sich kein Gesundheitszentrum aufbauen lassen. Mit Land werden Städte wie Ansbach oder noch Gunzenhausen gemeint sein. Aber nicht 3000-Einwohner-Orte wie Wolframs-Eschenbach. Ich finde es schlecht, wenn in 20 Jahren auf den Dörfern kein Allgemeinarzt mehr sitzt. Viele ältere Patienten sind nicht mobil. Wie sollen sie nach Ansbach zum Arzt kommen, wo hier die Busverbindungen sowieso schlecht sind?

 

Die Kassenärztliche Vereinigung schlug vor, pensionierte Ärzte oder Fachärzte allgemeinmedizinische Tätigkeiten erledigen zu lassen, um dem Ärztemangel zu begegnen. Sehen sie darin eine Gefahr für die Patienten? 

Es kommt auf die Facharztrichtung an. Einem Internisten traue ich das zu. Ein Großteil der Krankheitsbilder in Hausarztpraxen sind internistische. Bedenken habe ich bei anderen Fachärzten, wie Hautärzten. Bei pensionierten Allgemeinärzten, die fünf Jahre nicht mehr praktizieren, wird es auch schwierig. Viele neue Medikamente und Vorschriften kennen sie nicht mehr.

 

Welchen Rat möchten Sie einem Jungmediziner geben, der aufs Land möchte? 

Hausarzt auf dem Land ist einer der schönsten Berufe. Man kennt den einzelnen Patienten, seine ganze Familie und sein Umfeld. Wer Landarzt werden will, dem muss bewusst sein, dass er sich auf eine 60- bis 70-Stunden-Woche einstellen muss.

 

Wie sehen Sie den Beruf des Landarztes in 20 Jahren? 

Wenn der Trend so weiter geht, wird es immer weniger Landärzte geben. Wenn die Gesundheitszentren kommen, wird es schwieriger für die Patienten, diese zu erreichen. Eine medizinische Grundversorgung vor Ort ist dann nicht mehr gegeben. Das persönliche Arzt-Patient-Verhältnis sehe ich damit für gefährdet. In Gesundheitszentren arbeiten viele Ärzte zusammen. Der Patient wird immer mehr anonymer, das Vertrauen zu „seinem Arzt“ wird es nicht mehr geben.

 

Herr Dr. Lutz, vielen Dank für das Gespräch. 

Interview u. Foto: Daniel Ammon

a Dr. Manfred Lutz

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