Sich selbst und den Rechtsextremismus durchschauen

WINDSBACH

Das Evangelische Bildungswerk Windsbach hat einen informativen Abend mit Martin Becher organisiert, dem Geschäftsführer des Bayerischen Bündnisses für Toleranz und Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus. Die Anwesenden erfuhren, dass Rassismus und Antisemitismus nicht nur die relativ überschaubare Menge der gewaltbereiten Neonazis betrifft, deren Zahl in Bayern mit knapp 1500 Personen angegeben wird. Statistiken sagen, dass etwa 20 Prozent der Deutschen eine antisemitische Einstellung haben. Für die Neuen Nationalsozialisten, wie Martin Becher die Neonazis treffender bezeichnet, sind diese 20 Prozent eine Legitimation für ihr eigenes Treiben nach dem Motto: „Wir sagen nur, was eine große Minderheit in Deutschland auch sagt und denkt.“ Gefährlich kann es werden, wenn es den Neonazis gelingen würde, diese 20 Prozent für sich zu gewinnen. Die Strategie etwa der NPD macht sich die vorhandenen gesellschaftlichen Krisen zunutze: die Repräsentationskrise (z.B. Politikverdrossenheit), die Verteilungskrise (die wachsende Kluft zwischen arm und reich) und die Identitätskrise (Institutionen verlieren ihre Bindungskraft). So wirbt die NPD etwa mit Schlagzeilen, die auch von der Gewerkschaft stammen könnten, wie etwa „Zeitarbeit ist Sklaverei“, um sich ein „Kümmerer“-Image zu geben. Hinter der Parole „Sozial geht nur national!“ werden Rassismus und Fremdenfeindlichkeit schön verpackt. Man wünscht sich einen starken, strafenden Staat mit der Forderung der „Todesstrafe für Kindermörder“. Auch hier können sich die Rechtsextremen der Zustimmung bei vielen sicher sein. Wer eine Facebookseite gegen sexuellen Missbrauch aufruft, kann durchaus in einem rechtsextremistischen Forum landen. In Mecklenburg-Vorpommern wirbt die NPD auf dem Hintergrund der Abwanderungsbewegung aus den neuen Bundesländern mit den Parolen „Wir bleiben hier. Wir packen an!“. Das Bayerische Bündnis gegen Rechts, dem Institutionen aus dem staatlichen, religiösen und zivilgesellschaftlichen Bereich angehören, ruft darum dazu auf, Krisen nicht zu ignorieren, sondern in demokratischen Prozessen anzugehen und selbst aktiv zu werden. Sonst überlasse man das Feld den Neonazis. Ein weiterer Grundsatz des Bündnisses lautet: „Wir sind Teil der Lösung, wenn wir akzeptieren, dass wir ein Teil des Problems sind.“ Es sei also entscheidend, rassistische und fremdenfeindliche Gedanken bei sich selbst wahrzunehmen. Denn Vorurteile säßen oft tief und verhindern, der Wirklichkeit gerecht zu werden und offen auf Fremde zuzugehen. Stattdessen müsse eingeübt werden, die Vielfalt in einer Gesellschaft nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung zu erleben und zu gestalten. Auf die Frage einer Studentin, warum junge Menschen gegen besseres Wissen, das doch in den Schulen vermittelt wird, der nationalsozialistischen Ideologie verfallen können, gab Becher zur Antwort: „Wer einmal Feuer gefangen hat, nimmt alles nur noch selektiv wahr.“ Um die eigene Geschichts- und Gesellschaftsdeutung zu behaupten, wird „das System“ – womit die Medien, die Politik und die Kirchen gemeint sind – der Lüge bezichtigt. Das Phänomen der „Aussteiger“ mache im Umkehrschluss deutlich, dass Rechtsextremismus sektenartige Züge hat. Es kommt vor, dass Schüler mit Nazi-Parolen provozieren wollen und eigentlich nur Aufmerksamkeit erheischen möchten. Die Gefahr bei Lehrern kann dann sein, zu sehr auf der moralisch-historischen Ebene zu antworten. Wichtiger sei es, die Selbstaussage und die Beziehungsseite solcher Botschaften wahrzunehmen und einen Schüler nicht bloßzustellen. Seine Botschaft ist ernst zu nehmen, doch eine dahinter steckende Haltung und ihre Konsequenzen sind abzulehnen. „Wir bekämpfen Einstellungen, Taten und Haltungen, aber nicht Menschen“, so Becher in seinem Schlusswort.

Text + Foto: Hans Gernert

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