Was hängt denn da am Baum?

SACHSEN B. A.

Die „Renaissance des Spaziergangs“ ist derzeit in aller Munde. Tatsächlich ist es schön, erholsam, beruhigend, sich an der frischen Luft, in der Natur zu bewegen. Und manchmal erlebt man sogar kleine Überraschungen. So geschehen Anfang Mai in einem Waldstück zwischen Sachsen und Neukirchen. In etwa zwei Metern Höhe hing da etwas an einem schlanken Baumstamm. Es sah aus wie eine mongolische Jurte, ein rundes Nomadenzelt also. Aber was macht das hier in Franken? In der Größe? Und noch dazu an einem Baum? Bei näherem Hinsehen entpuppte das Gebilde sich als etwas, das am Stamm festgewachsen war. Des Rätsels Lösung: Ein Baumpilz namens Zunderschwamm. Fomes Formentarius heißt der Pilz bei den Wissenschaftlern, die ihn vor 25 Jahren mal zum Pilz des Jahres erwählt hatten. Bis zu 30 Zentimeter kann sein korkig-zäher Fruchtkörper werden. In Form eines Hufes und einer verkehrt herum aufgehängten Konsole kann er dann offensichtlich schon einmal wie eine Jurte aussehen; die Größe passte auch. In früheren Zeiten hatte der häufig vorkommende Pilz, der Buchen und Birken bevorzugt, eine praktische wirtschaftliche Bedeutung, der er seinen Namen verdankt: Bestimmte Teile dienten zur Herstellung von Zunder, einem Produkt zur Feuerentfachung, das seit der Erfindung der Zündhölzer 1848 allerdings nicht mehr benötigt wird. Darüber hinaus war der Zunder auch Rohstoff für viele andere Produkte des täglichen Lebens: Kleidungsstücke (Mützen, Hüte, Westen, Handschuhe, Hosen), Taschen, Bucheinbände, Bilderrahmen und Fensterleder wurden daraus hergestellt. Sogar als Korkersatz oder als Radiermaterial bei Kohlezeichnungen fand der Zunderschwamm Verwendung. Bei „Ötzi“, der Gletscherleiche, wurde übrigens auch ein Stück dieses Pilzes gefunden: Seine Verwendung war den Menschen also schon vor mehr als 5000 Jahren bekannt. Heute sind das Gewerbe des Schwammschnitts und der Beruf des Zundelmachers lange ausgestorben. In modernen auf holzwirtschaftlichen Ertrag ausgerichteten  Forsten ist der Zunderschwamm auch nur noch selten zu finden. Aber in naturnahen Laub- und Mischwäldern, die es zu erhalten gilt, kann der Pilz seine ökologische Aufgabe erfüllen: Er ernährt sich von schwachem und totem Holz, dass dann wiederum etlichen Tieren als Nahrung und Lebensraum dient. Für einen gesunden Baum stellt er keine Gefahr dar. Bei einem meiner nächsten Spaziergänge werde ich „meinen“ Pilz wieder besuchen und mir vorstellen, was ein Schwammschneider und sein Kollege, der Zundelmacher, vor mehr als hundert Jahren alles mit diesem besonderen Gewächs angestellt hätten.

Text + Foto: Susanne Hassen

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