Weihnachten liegt nur 5 Kilometer entfernt…

Eine Weihnachtsgeschichte von Christa Reller aus Merkendorf

Vorweihnachtszeit – diese Zeit der dicht auf dicht folgenden Veranstaltungen für Kinder/Eltern/Schüler. Nicht, dass es mir zu viel ist – man muss halt nur so viel Anderes weglassen, damit man selbst in Balance bleibt. „Weglassen“ heißt Abstriche machen. Alles Streichen, was nicht mehr reinpasst ins vorweihnachtliche Leben. Aber nun, für mich selbst ist es ok, denn in den Aktivitäten dieser Zeit liegt etwas, was mehr bedeutet, was einfach wichtig ist für Eltern, Kinder, Schüler… Und je öfter ich durch diese stressige Zeit gehe, desto ruhiger werde ich dabei – es hat bisher immer alles noch rechtzeitig geklappt. Die Familie muss sich nur umstellen in den Erwartungen. Weihnachten liegt halt nicht im blitzeblank geputzten Treppenhaus und auch nicht in kulinarisch ausgeklügelten Essensangelegenheiten – WEIHNACHTEN liegt an ganz anderen Orten – z.B. 5 km entfernt. Das hatte ich auch schon fast vergessen – aber gestern ist es mir wieder eingefallen. Nachdem ich einen ganz profanen spannungsfreien Abend mit einem sehr mittelmäßigen Tatort hatte (an so mittelmäßigen Filmen kann man lernen, dass man selbst auch nicht immer nur allerbeste Leistungen bringen muss – wenn selbst im Fernsehen Mittelmäßigkeit gezeigt wird, dann ist es doch eigentlich eine beruhigende Sache…), habe ich mir ein paar Minuten den Folgefilm angeschaut, der im Vorspann so ultraprimitiv war, dass es neugierig machte. In der Tat – gezeigt wurden im vollen Ernst lauter Dödel im Norden des Landes, die sich mit Weihnachten beschäftigen wollten – mit Absicht dumm gemacht – und daher so oberkitschig, dass man es nicht länger wie ein paar Minuten aushält. Allerdings hat es in der äußeren Erscheinung tatsächlich in mir die Erinnerung an ein sehr interessantes und eines meiner Lieblingsweihnachtserlebnisse wachgerufen – und diese Erinnerung möchte ich gern an Sie weitergeben – als kleinen Weihnachtsgruß! Es war vor ca. 5 Jahren an Heilig Abend. Da hatten wir noch unsere Pferde und die Zeit war alles in Allem noch voller und praller mit Tätigkeiten gefüllt wie jetzt. Fast jedes Wochenende irgendeine Pferdearbeit. Trotz der Arbeit war diese Zeit mit den Pferden allerdings eine Bereicherung für unser Leben hier, die mit Dankbarkeit erfüllt. Also – es war Heilig Abend, und weil ich wie immer in der Zeit vorher alle Hände voll zu tun hatte, fand sich einfach keine Zeit zum Mist wegbringen. Es blieb nur der Heilig Abend Vormittag. Unsere „Miststation“ war mittlerweile ein großer Bauernhof in einem eingemeindeten kleinen Dorf, ca. 5 km entfernt. Nicht mal zum Termin anfragen hatte die Zeit vorher gereicht – und so rief ich in der Früh des Heiligen Abends etwas zaghaft bei der Bauersfamilie an. Der Bauer wusste nichts, was dagegen sprach und so richtete ich mit meinem Arbeitspartner, dem zuverlässigen Freund meiner Pferdepartnerin, mit dem sich all die Jahre unkompliziert und angenehm Hand-in-Hand arbeiten ließ, alles her für die Aktion. Bulldog Marke Uralt startklar machen, Kniedecken, Mistgabeln, Besen. Wir mussten immer die Hauptstraße hoch fahren und die Leute schauten schon äußerst zweifelnd. Diejenigen Anwohner, die uns nicht gesehen haben, zweifelten wohl ob sie tatsächlich richtig hörten, gestört beim Baum schmücken oder sonstigen letzten weihnachtlichen Vorbereitungen. (Die meisten hier können die Bulldogs der Anderen am Motorgeräusch identifizieren). Wir fuhren weiter, und es zog sich ewig hin. Je länger sich die Fahrt ob der Kälte hinzog – je weiter wir uns sozusagen von Merkendorf weg bewegten und durch die Wälder fuhren, desto mehr verlor sich der Zeitdruck (den hatte ich natürlich schon – noch kein Geschenk eingepackt!), er löste sich wirklich einfach auf wie Nebel – immer mehr und mehr. Wir sprachen nur das Nötigste – wie immer, weil unser alter Bulldog wirklich sehr laut war – und manchmal beginnen auf so einer Fahrt auch die Gedanken zu fliegen – es war also fast, wie Santa Claus mit den Rentieren – nur eben mit dem Bulldog. Als wir endlich in das Dorf einfuhren, hatte man das Gefühl in einer ganz anderen Welt zu sein – und dabei war es nur 5 km entfernt. Die Menschen, die draußen waren, grüßten uns überhaupt nicht seltsam erstaunt, sondern ganz freundlich und selbstverständlich. Sie strahlten eine Ruhe aus, das man denken könnte, hier wäre eine andere Zeit – jedenfalls nicht Heilig Abend Vormittag. Die einen kehrten Straße, die anderen reparierten Autos oder schauten einfach gedankenverloren durch die Gegend. Dann fuhren wir bei unserem Bauern ein. Sie kamen mit der Mistschaufel aus dem Stall – er und sein Knecht um uns zu begrüßen – und um zu helfen. Da war anscheinend Weihnachten und Heilig Abend ganz weit weg. Sie waren voll in ihrer Arbeitskluft, die selbst mir als Bauernkind etwas unwirklich erschien – bei uns waren alle auch in Arbeitsklamotten noch so leicht gesellschaftstauglich – jedenfalls in meiner Erinnerung – oder war das dann doch schon zu lange her? Diese Zwei schauten aus, als hätten sie gerade eben einer Kuh geholfen beim Kälbern – mit Strick und so – also gezogen. Und so war es auch. Ihre Erscheinung zeugte von aktiver Beschäftigung mit voller Hingabe. Alles ist gut gegangen, nur etwas lang hat‘s gedauert, da mussten sie ein bisschen nachhelfen – ziehen. Aha, alles klar. Tja, allem Anschein nach hatten diese beiden heute bereits ein Flow-Erlebnis gehabt, nach einem solchen wir „hier“ ja immer auf der Suche sind… Es war wie im Film, fast unwirklich – aber doch Realität. Ich hatte den Gedanken, dass zur gleichen Zeit unzählige Menschen hasten und in den Städten unterwegs sind, um noch irgendwas zu besorgen oder Dinge suchen, die eigentlich auch nur Beiwerk sind wie Krippenzubehör, das man ja eigentlich schnell mit etwas Fantasie ersetzen kann. Oder sich über abgebrochene Christbaumspitzen ärgern – oder schlicht und einfach eine Weihnachtserwartung haben, die an der eigentlichen Sache ziemlich vorbei geht. Und ich war richtig glücklich, dass ich hier sein durfte – mitten auf dem Mist, mit der Gabel in der Hand, wo nicht die kleinste Äußerlichkeit von Belang schien – wahrscheinlich gab ich selber auch gerade ein ziemlich eskimohaftes und unzivilisiertes Bild ab, aber ich fühlte mich dabei richtig richtig gut – wie bei Hirten auf dem Feld. Es war wunderbar. Als alles erledigt war, doch noch ein paar Worte – ganz selbstverständliche, nicht großartig und gar keins, dass irgendwelche Zeit drängt. Alles paletti – wir können jederzeit wiederkommen, müssen nicht anrufen, ist ja überhaupt kein Problem. Ja, alles klar, einfach jederzeit kommen – ohne Vorabsprache – klingt gut, genau wie früher, als wir hier alle noch kein Telefon hatten. Wir haben einfach nachgeschaut, ob jemand da war – und meist war auch jemand anzutreffen, keiner von uns war ja weit weg. Dazu waren die Häuser meist offen, wir haben also einfach nachgeschaut ohne „Termin“. Aber wenn jemand da ist, und ohne große Worte zu machen dann auch noch mithilft – einfach so, dann ist es wirklich fast – wie WEIHNACHTEN! Wir sind dann wieder abgefahren – und hatten dieses befreiende Gefühl in dieses Weihnachten mitgenommen. Kein Weihnachtsstress, kein Saubermachen überall und in allen Ecken, weil alles perfekt sein muss, kein Zeitdruck, kein großartiges Essensmanagement, kein gar nichts – nur WEIHNACHTEN. Im eigentlichen Weihnachten findet sich kein Druck zu irgendwas. Man kann einfach loslassen und dann ist man frei für das eigentliche Fest und für warme, echte Begegnungen im Zusammenfinden und im Miteinander. Am Abend in der Kirche hab ich den Bauern wiedergesehen. Er spielte mit im Posaunenchor und der Knecht war auch da – natürlich umgezogen, aber nicht der Marke „extra fein“ – ganz andächtig in einer Bank. Und er wirkte überaus zufrieden mit sich und seiner Welt im Hier und Jetzt. In der Tat –  richtig WEIHNACHTLICH. Ich fragte mich, wie ihr Styling wohl ausgesehen hat – bestimmt haben sie nicht mehr als 2 Flaschen – wenn überhaupt im Bad stehen. Auch leben die Beiden wahrscheinlich in der Freiheit, keine Namen von Klamottenmarken oder sonstigen ähnlichen Dingen in ihrem Kopf gespeichert zu haben. Ja, man sollte sich darüber Gedanken machen – und diese Weihnachtswelt liegt wirklich nur 5 km entfernt… Dieses Erlebnis hat mich einfach beeindruckt und mich an diesem Tag ein Stück Weihnachtsfrieden finden lassen. Wirklich erstaunlich, nicht? An welchen Orten, wie unscheinbar zunächst auch immer, man doch ein Stück „Weihnachten“ finden kann…

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